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Project Kirgistan

Blog von: Nina Poxleitner

Project Kirgistan
von Nina Poxleitner

„6. Juni 2019 - Erstbesteigungsversuch
Tagwache 5:00 Uhr, Frühstück 5:30 Uhr, Abmarsch 6:15 Uhr
Als wir aufwachten war es eiskalt. In der Nacht hatte es unter Null Grad. Unser Zelt war angefroren. Ich habe mäßig geschlafen in unserem Basecamp auf über 3200m.“
(Auszug aus meinem Expeditionstagebuch)

Seit gestern sind wir nun endlich hier im Jiptik Valley in Kirgistan an der Grenze zu Tajikistan. Dieses Tal hat noch nicht viele Europäer gesehen und einige der Berge um uns sind unbestiegen. Grund dafür ist die einerseits politisch angespannte Situation in den letzten Jahren, andererseits aber auch weil das Tal sehr abgeschieden ist.


Anreise - Blick ins Tal

Für unsere Anreise bis zum Basecamp haben wir mehrere Tage gebraucht. Von Osh – der zweitgrößten kirgisischen Stadt - sind wir mit dem Auto 240km westlich nach Batken gefahren. Von dort ging es weiter Richtung Südwesten. Die erste Nacht im Zelt verbrachten wir am Ende einer Schotterstraße in einer kleinen Nomadensiedlung. Zwischen Schafen und Pferden schlugen wir unsere Zelte auf.


Basecamp - Ankunft


Basecamp - erstes Auschecken des Muz Toks

Am nächsten Tag würde es nun endlich losgehen. Ein Jahr lang hatten wir unsere Expedition geplant. Wir haben recherchiert, uns körperlich und geistig auf unser Abenteuer vorbereitet, uns als Team gefunden und geplant.



Pferdetransport

Der zweieinhalb tägige Anmarsch war anstrengend. 10 Pferde und 5 Reiter transportierten unsere 500kg Equipment und Essen rund 40km weit und 3500m Höhenmeter rauf und runter bis zu unserem Basecamp. Doch nun waren wir da, im Basecamp, unserem Zuhause für die nächsten 12 Tage. Unsere Reiter und ihre Pferde hatten gestern nach der Ankunft auch gleich wieder ihren Rückweg angetreten. Wir waren alleine, gemeinsam mit Ali, unserem Koch und Weggefährten. Es war richtig ruhig und wunderschön. Das Jiptik Valley wird auch als die Schweiz von Zentralasien bezeichnet. Es sah aus wie bei uns – nur höher und wilder.


Ali - unser Koch

„14:30 Uhr – Der Gipfel war noch in weiter Ferne und das Wetter sprach nicht für uns. Wir mussten umdrehen. Durch Schneefelder und Geröll begannen wir unseren Abstieg. Der Gipfel bleibt vorerst unbestiegen.“

Nach unserem nicht erfolgreichen Erstbesteigungsversuch genossen wir einen Tag Pause. Langsam gewöhnten wir uns an unseren Alltag im Basecamp. Es ist spannend zu sehen, wie wichtig Routinen sind, auch mitten im Nirgendwo. Das Küchenzelt war unser Gemeinschaftszelt. Dort spielten wir Spiele, planten unsere Touren, hörten mit Ali kirgisische Musik, lasen und diskutierten.

Das Wetter war viel besser als angesagt. Wir bekamen tägliche Updates über unser Satellitentelefon von ZAMG zum Wetter am Muz Tok, dem Hauptziel unserer Expedition. Der Muz Tok lag am Ende des Tals ein paar hunderte Meter von uns entfernt. Jedoch waren wir von mehreren Mikroklimata umgeben. Deshalb ist das Wetter am Muz Tok oft ein anderes als das Wetter Tal einwärts.


Anreise - Wetterbericht

Die Jungs hatten einen Gipfel ins Auge gefasst, der für Lisa und mich keine Option war. Am nächsten Tag machten sie sich um 4:00 Uhr auf für ihren zweiten potentiellen Erstbesteigungsversuch. Lisa und ich begnügten uns diesmal mit einer einfachen Akklimatisierungstour auf 4000m. Kurz nach Mittag meldete sich unser Walkie-Talkie. Die Jungs hatten den Gipfel erreicht. Wir freuten uns riesig mit ihnen mit.

„Es hat die ganze Nacht durchgeschneit. Wir sind in der Früh aufgewacht und haben sofort angefangen unser Zelt vom Schnee zu befreien. Es schneite und schneite. Alle Stunde klopften wir die Zelte ab. Als wir schlafen gingen, schneite es immer noch. Wir teilten uns die Nacht in Schneeschaufelschichten auf. Es war kalt und nass.“


Materialzelt - nach Schneefall

Endlich hörte es nach zwei Tage auf zu schneien. Schon in der Nacht hatten wir einige Lawinen gehört. Die Bedingungen für weiter Touren waren nicht gut. Wir mussten warten.

Mit dem vielen Schnee wurde die Besteigung der Muz Tok Nordwest Flanke um einiges unwahrscheinlicher. Philip, Rainhard und Christian hatten für diese Wand einige Wochenenden trainiert um der anspruchsvollen Eiskletterei und dem exponierten Gipfelgrat gewachsen zu sein. Die Erstbegehung der Nordwest Wand auf den Muz Tok war der Hauptgrund für unsere Expedition. Die Stimmung war gedrückt. Viele Faktoren der Tour waren unsicher. Nach dem starken Schneefall war es nun warm. Zu warm für diese Jahreszeit und Höhe. Auch in der Nacht sanken die Temperaturen nicht unter Null Grad. Dadurch gab es viel Steinschlag. Im Minutentakt hörten wir Steine ins Tal stürzen.


Schneeschmelze - Steinschlag beim Basecamp

Genau zur Halbzeit der Expedition brachen Rainhard und Philip zum Muz Tok auf. Christian hatte sich gegen einen Versuch entschieden. Nur die Hälfte seinen Gepäcks war angekommen und ihm fehlte essenzielles Equipment. Keine einfache Aufgabe, die Frustration nicht die ganze Expedition überschatten zu lassen. Mit 20kg Rucksäcken pro Person machten sich Rainhard und Philip auf den Weg. Wir im Basecamp zurückgebliebenen fieberten sehr mit ihnen mit. Die beiden meldeten sich regelmäßig übers Walkie Talkie. Der Weg war anstrengend. Sie kamen sehr langsam vorwärts im hohen, nassen Schnee. Gegen 14:00 Uhr bauten sie ihr Zelt auf, um vor der Hitze Zuflucht zu finden.

„Ich mag es im Basecamp. Es ist ruhig und trotzdem ist immer jemand da. Ali ist der Chef des Küchenzelts. Manchmal, oder besser meistens, ist er gut gelaunt und versucht mit Händen und Füßen mit uns zu kommunizieren. Rainhard mag er besonders gerne. Die beiden scherzen und lachen miteinander. Für viele Dinge ist die Sprache gar nicht so wichtig.“

Am nächsten Tag kamen Rainhard und Philip ins Basecamp zurück. Nach einer viel zu warmen Nacht auf über 4000m mussten sie schweren Herzens die Entscheidung treffen, umzukehren. Die letzten Meter zur Wand kosteten durch den patzigen Schnee zu viel Zeit. Dadurch würden sie zu spät in die Wand einsteigen, durch die warmen Temperaturen war die Nordwest Wand viel zu gefährlich geworden.


unbestiegener Mutz Tok

Steinschlag und ein drohender Serac lagen wie ein Damoklesschwert über der Route. Erschreckend wie die Klimakatastrophe das Bergsteigen selbst in diesen Höhen immer schwieriger und gefährlicher macht. Die Natur verändert sich aufgrund der steigenden Temperaturen. Viele Eistouren werden in den kommenden Jahren nicht mehr kletterbar sein.

Nach einem weiteren Schlechtwettertag ging unsere Zeit im Jiptik Valley langsam ihrem Ende zu. Einen Berg hatten wir noch ins Auge gefasst. Das „rote Labyrinth“, so benannten wir den schroffen Rießen. Er lag direkt neben unserem Basecamp und leuchtete in einem schönen rot. Gerne wollten wir die potentielle Erstbesteigung als 5er Team in Angriff nehme. Es war eiskalt, dunkel und windig, als wir loszogen.

„Nach 3 Stunden hatten wir 1000 Höhenmeter geschafft und erblickten die ersten Sonnenstrahlen des Tages. Gegen 7:00 Uhr standen wir auf der Scharte. Im Windschatten des Felsens, ganz an die Wand gepresst, machten wir eine kurze Aufwärm- und Esspause. Nun begann der lange Weg am Grat entlang.“


Labyrinth - Spuren auf Grat

Bei jeder Erhebung dachten wir uns, nun endlich den Gipfel erreicht zu haben. Doch es ging immer weiter und weiter. Gegen Mittag, nach fast 8 Stunden, hatten wir es fast geschafft. Wir mussten die letzte Kletterpassage bewältigen, dann waren es noch rund 50m leichtes Gelände und plötzlich standen wir am Gipfel, 4690m. Das Basecamp lag unendlich weit unter uns. Ich konnte mich gar nicht wirklich freuen, weil noch ein weiter Weg zurück vor uns lag. Doch wir machten beim Abstieg gut Meter. Nach mehr als 13 Stunden waren wir zurück im Basecamp.


Gipfel - Labyrinth

„Es war eine wirklich schöne Tour auf den 4690m Riesen. War waren als Team stark und es war ein geniales gemeinsames Erlebnis. Jetzt will ich nur mehr schlafen.“

Der Weg zurück in die Zivilisation war aufregend. Wir trafen einige Hirten, wurden überall freundlich mit Tee und Brot empfangen. Wir waren nervös, nach über zwei Wochen wieder ins „normale“ Leben zurückzukehren.

Nun sind wir schon seit fast einem Monat wieder in Österreich. Mir fehlt die Ruhe, die Einfachheit und Gemeinschaft, die wir im Basecamp hatten. Der Weitblick aus dem Zelt, das Sein ohne Handy und Ablenkung und der Tagesrhythmus vorgeben von der Natur, sind Dinge, die ich hier wirklich vermisse.

Wir sind auf den Expeditionsgeschmack gekommen. Viele Freunde haben uns gefragt, ob wir das wieder machen würde? Und wir wissen ganz klar, ja unbedingt!

Mehr Geschichten von unserem Abenteuer teilen wir bei unserem Vortrag am 10. Oktober um 19:00 Uhr in der Walfischgasse 12, 1010 Wien.