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Fehlt da etwas? Frauen "allein" im Hochgebirge.

Blog von: Katharina Winckler

Fehlt da etwas? Frauen „allein“ im Hochgebirge.

Ein Blick aus dem Fenster einer typischen 4000er Hütte: soweit das Auge reicht eine Wüste aus Eis und Fels, schroffe Zacken, die hoch hinaufragen, wilde Gletscherschründe und in der späten Nachmittagssonne gleißende, schwere Schneefelder. Und vor allem: keine Spur von Grün und (im Idealfall) menschlichen Bauten, außer der einen, in der man sich befindet. Das ist die Welt der 4000er in den Alpen, eine abenteuerliche Welt, die einem nicht mehr loslässt, wenn einem einmal das „Bergsteig-Virus“ gepackt hat.

Dann der Blick in die Hütte: dunkel durch die kleinen Fenster, enge Tische und darauf verteilt alte Alpenvereinszeitungen und Bücher, manche davon schon zwanzig Jahre alt und oft gelesen. Die dicke Luft der Hochgebirgshütten, bestehend aus altem Schweiß, schweren Küchengeruch – eine Mischung aus verbranntem Fett und Kaffee – jahrzehntealtem, wettergeprüften Gehölz und dem Mief von gefühlt jahrhundertealten Matratzen. Das hat auch einen Geruch von Abenteuer.

Und genau so war es auch in der Finsteraarhornhütte im August 1990. In der gesamten Hütte und der Terrasse davor befanden sich ca. ein Dutzend Männer, von Teenager- bis ins höhere Alter, und wir: mein Vater, ich und meine Schwester, damals 16 und 19 –  und die einzigen Frauen in der Hütte. Zugegeben, so eine reine ‚Männerhütte‘ wie damals am Finsteraarhorn habe ich seither nie mehr gesehen. Aber es war ein einprägsamer Moment. Denn Frauen sind und waren zwar immer schon ein normaler Anblick in den meisten Hütten (und Gipfeln) der Alpen. Schon meine Mutter begleitete Ende der 60ger Jahre meinen Vater auf einige 3- und auch 4000er und, wie ein Blick in den Freundeskreis meiner Eltern zeigte, war sie nicht die einzige. Heute sind Frauen auf den höchsten Gipfeln der Alpen in großer Anzahl anzutreffen und ich denke, dass auch die Finsteraarhornhütte mittlerweile sehr viele Frauen gesehen hat.

Aber trotzdem nehmen Frauen verhältnismäßig wenig Raum ein und es gibt Momente, wo man plötzlich alleine unter Männern ist – wie etwa auf dem Aussichtsfelsen vor dem Refuge Glacier Blanc am Ecrins Massiv: acht Männer aber keine einzige Frau zieren den Anblick auf den ansonsten beeindruckenden Mont Pelvoux auf Foto 1.

Frauengruppen oder Gruppen geführt von Frauen sieht man nach wie vor so selten, dass sie auffallen. Lange Jahre war ich mit einer gleichaltrigen Freundin und manchmal einem Freund sowie oft mit meinem Vater bergsteigend unterwegs. Aber Teams, die nur aus Frauen bestanden haben wir in dieser Zeit fast vergeblich gesucht – obwohl wir immer danach Ausschau hielten. Ein einziges Mal hat uns ein schon in die Jahre gekommenes zweier Team mit grimmigen Gesichtsausdruck und strammen Schritt Richtung Cabane Tracuit überholt. In der Hütte sprachen sie nicht viel und gingen früh schlafen. Meine Bergkameradin und ich hätten gerne gehört, was sie zu erzählen hatten.

Wie unüblich reine Frauenteams in großen Höhen sind - und sicherlich der Grund für den Gesichtsausdruck der zwei Frauen auf der Tracuit Hütte - durften wir dann schließlich im Jahr 2007 erfahren, als wir beide (Also die Bergkameradin und ich) uns bereit für eine neue Herausforderung sahen und versuchten einen 4000er erstmals als Führerinnen für drei sportliche, aber höhenunerfahrene Freundinnen zu besteigen. Dass unsere Gruppe nur aus Frauen bestand, war übrigens ein Zufall – in meinem Freundeskreis sind halt die Frauen sportlich und nicht die Männer.

Wir wählten dafür den klassischen „Einstiegs“ 4000er: das Breithorn (4.165m hoch), ein sogenannter „Gletscherhatsch“, bei Schönwetter ohne nennenswerte Schwierigkeiten und Längen, obwohl natürlich auch hier Steigeisen, Seil und gute Gletscherverhältnisse notwendig sind. Das Breithorn ist ein hervorragender Aussichtsberg, das Vergnügen wird allerdings getrübt durch die Präsenz zahlreicher Skilifte und Seilbahnen bis auf etwa 3900m Höhe. Entsprechend scherzten wir, dass die größte Gefahr bei der Besteigung wohl die sei, von einem betrunkenen Skifahrer niedergemäht zu werden (wir mussten zwei Skipisten queren).

Wir wählten als Ausgangspunkt die Hütte direkt an der Bergstation Testa Grigia, auf fast 3500m Höhe und, trotz der Lage unmittelbar an der Bergstation, schon ganz typisch für die hohen Hütten der Alpen. Auch die Übernachtungsgäste waren entsprechend: einige Seilschaften mit und einige ohne Führer, aus allen möglichen Ecken Mitteleuropas. Am Abend dann kam für uns eine echte Überraschung: wir fielen auf. Menschen sprachen uns an – eine Frauengruppe! Ganz „allein“, ohne Mann! Hat man sowas schon gesehen! Die Reaktionen waren von positiv („Weiter so“, „Toll das es so etwas gibt“) zu, erstaunlicherweise, auch negativ: eine reine Männergruppe giftete uns an und war an der Grenze zum Beschimpfen. Frauen alleine hatten ihrer Meinung nach hier nichts zu suchen: Einen 4.000er erklimmen nur richtigen Männer.

So massiv war mir das Ungleichgewicht noch nie aufgefallen. Sicherlich – jedes Mal, wenn auch nur ein einziger Mann mitging, war prinzipiell *immer* dieser eine Mann von Hüttenwirten oder anderen Bergsteigern angesprochen worden, wenn es um die Frage ging, wohin wir gingen oder was wir denn schon so für schöne Touren gemacht hätten – niemand nahm an, dass eine Frau die Erfahrenste sein könnte. Einmal fragte ich einen Hüttenwirt nach den Wegverhältnissen und er antwortete meinem danebenstehenden, aber ziemlich bergunerfahrenen Freund.

Aber mir war nie in den Sinn gekommen, dass Frauen, die ja als Begleiterinnen am Berg voll akzeptiert und gern gesehen sind, ganz ohne Mann wiederum immer noch eigenartige und gemischte Gefühle hervorrufen. Und für uns als Gruppe war es auch seltsam – schließlich wollten wir einen Berg besteigen und hatten eigentlich nicht vorgehabt, dabei irgendwelche Grenzen zu sprengen.

Dass es diese doch noch gibt, hat mir dieses Erlebnis gezeigt. Reine Frauengruppen sind – im Gegensatz zu reinen Männergruppen – zumindest im Hochgebirge immer noch viel zu selten. Dabei würden diese Gruppen meiner Meinung nach allgemein das Gefühl dafür ändern, was „normal“ ist – nämlich, in diesem Fall, dass Frauen kompetente und eigenständige Bergsteigerinnen sind, die nicht „alleine“ am Berg sind, wenn kein Mann dabei ist.

Was das ändern könnte? Vermutlich hilft nur, dass frau den Mut zusammenkratzt, gleichgesinnte Frauen zusammenruft, für alle Fälle den grimmigen Blick mit in die Ausrüstung packt und…auf den Berg steigt!

Berglerin: Katharina Winckler
Alle Fotos © Katharina Winckler
 

Foto 1: Acht Männer und ein Berg (noch mehr waren weiter rechts zu finden, aber eigentlich wollte ich nur den Berg fotografieren)


Foto 2: Zwei Frauen mit grimmigen Blick  (Symbolbild - Eigentlich zeigt dieses Bild die Bergkameradin & mich, vor recht langer Zeit, nach einem Gewitter auf einem ausgesetzten Grat in über 3000m Höhe - da gibt es nichts, was sich besser anfühlt, als wieder „unten“ zu sein.)

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